802 Jahre Cunewalde 1222 - 2024

Book-Christel


Die "Book-Christel" und das Haus an der Oberlausitzer Straße 30

Dieses Haus im heutigen Ortsteil Weigsdorf-Köblitz stand dort, wo die Oberlausitzer Straße seit ca. 1860 einen Bogen um den Weigsdorfer Berg macht. Ein heute undenkbarer Ort zum Bauen, kaum Grundstück und Hanglage zum Cunewalder Wasser. Doch das Haus stand schon lange vorm Bau dieser "Umgehungsstraße" dort. Es war einst mit Stroh gedeckt, wurde im Laufe der vielen Jahre oft umgebaut und später mit einer festen Dachverkleidung versehen. Bereits 1796 bekam das Gebäude einen weiteren Anbau. Die Gebäudeakte im Archiv der Gemeinde weist weiter eine Baugenehmigung vom 20.06.1911 für den Einbau eines Schornsteines in das Wohnhaus aus, für welche der damalige Eigentümer Karl Gotthelf Vietze eine Gebühr gemäß der Gebührenordnung von 2,50 Mark in bar entrichtete. In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts mussten die inzwischen maroden Umgebindeteile durch Steinwände ersetzt werden. Das Haus war allen Einwohnern vertraut.

In diesem Haus wohnte eine alte Dame mit einem eigenartigen Namen. Eigentlich hieß sie Johanna Christine Weickert und war vor vielen Jahrzehnten die Besitzerin von dem Haus. Im ganzen Ort wurde Johanna Christine Weickert aber nur die "Book-Christel" genannt. Diesen Namen verdankte Johanna Christine Weickert damals dem Umstand, dass sie außer einigen Milchziegen auch einen Ziegenbock im Stall hatte. Mit diesem Tier an der Kette sah man sie öfters, besonders im Herbst, durch unser Dorf wandern, um in anderen Häusern, in denen Ziegen gehalten wurden, ihren Bock für eine "Hochzeit" zur Verfügung zu stellen. Auch kamen viele Ziegenbesitzer mit ihren Tieren zu ihr nach Hause, um nächstes Jahr wieder junge Zickel ihr Eigen nennen zu können. Da es früher in vielen Häusern Ziegen gab, hatte der Bock in dieser Zeit immer viel "Arbeit". Nach jeder dieser "Hochzeiten" ihres Zuchtbockes bekam die "Book-Christel" 50 Pfennige von den jeweiligen Tierhaltern. Reich wurde sie freilich davon nicht, aber durch ihre "Dienstleistungen" war der Fortbestand der Ziegen im Dorf wenigstens gesichert und für die vielen "kleinen Leute" eine wichtige zusätzliche Nahrungsquelle erhalten. Heutzutage ist die liebevolle Ziegenzucht fast ausgestorben und man sieht diese Tiere nur noch sehr selten auf den Weiden.

Seit Mitte 2010 stand das Gebäude leer, denn die letzten Eigentümer mussten aus gesundheitlichen Gründen das Gebäude aufgeben. Es war das Ehepaar Rolf und Gudrun Richter. Rolf Erwin Richter, geboren 1932 in Schirgiswalde, war gelernter Zimmermann, arbeitete später als Schlosser im VEB Kombinat Fortschritt Neustadt und später im Werk Singwitz. Sein Vater war Weber in Kirschau und die Mutter einfache Hausfrau. Gudrun Richter war die Tochter des "Brenner Walter", Tischlermeister Walter Jeremies auf der Reichenstraße 14. Im Jahre 1961 hatte das Ehepaar jenes Haus erworben. Trotz großer Straßenbauarbeiten im Jahre 2007 wegen maroder Stützmauern auf der gegenüberliegenden Straßenseite blieben Rolf und Gudrun Richter weiter im Haus wohnen. Nichts brachte sie dazu, das Grundstück zu verlassen. Im Jahre 2008 begingen Richters hier noch das Jubiläum der Goldenen Hochzeit. Erst der gesundheitliche Zustand beider sorgte 2010 für einen Auszug zu Verwandten.

Die Gemeinde Cunewalde hatte seit 2014 mit den Eigentümern und Familienangehörigen intensive Gespräche über einen Erwerb des nunmehr ungenutzten Hauses geführt. Im September 2017 hat die Gemeinde dieses Gebäude, einschließlich des 450 m² großen Grundstückes und einer dazugehörigen Wiesenfläche im Überflutungsbereich des Cunewalder Wassers im Bereich unserer Tankstelle von den Eigentümern im Rahmen eines kostenlosen Überlassungsvertrages erworben. Ziel war ein geordneter Abbruch des Gebäudes, welches aufgrund seiner Lage, des kleinen Grundstückes und des schlechten Gebäudezustandes keine realistische Nachnutzungsperspektive mehr hatte. Ein zunächst im Jahr 2022 angestrebter Abbruch musste verschoben werden. Doch Anfang 2023 war es dann soweit. Bäume und Sträucher fielen, eine Zufahrt entlang des Cunewalder Wassers wurde geschaffen und vom 1. Februar bis zum 17. Februar waren die Einwohner schließlich Zeugen vom endgültigen Aus dieses Hauses. Es bleiben manchem Heimatfreund die Erinnerungen im Kopf und auf Fotos über ein geschichtsträchtiges Haus, welches trotz ungünstiger Lage, einfacher Bauweise und bescheidenem Grundstück über einen langen Zeitraum der Broterwerb einfacher Menschen des Ortes war.

Quellen: Heimatfreunde Weigsdorf-Köblitz, Matthias Gutsche, Torsten Hohlfeld