802 Jahre Cunewalde 1222 - 2024

Bahnhofsrestauration


Das schnelle Ende der traditionsreichen Bahnhofsrestauration in Obercunewalde

In seinen chronistischen Betrachtungen hat Hellmut Schwer im Jahre 1990 auch Informationen zur Bahnhofsrestauration Obercunewalde, im Volksmund nur "bei Wolf´s" genannt, zusammengetragen. Damals von ihm nicht ermittelbar waren das Baujahr und der Bauherr. Inzwischen besteht Klarheit:

So stellte Wilhelm Kretschmar im August 1891 den Bauantrag und die Abnahme erfolgte am 10. Juni 1892 durch die Königliche Amtshauptmannschaft Löbau. 1892 wurde der Stall angebaut. Auf 1903 ist die Änderung der Abortanlage durch den Gastwirt Brückner datiert. Konkrete Informationen gibt es erst ab 1912, als Martin Wolf, ein Bauernsohn aus Tautewalde, die Gaststätte vom bis dato tätigen Gastwirt Gustav Christoph kaufte. Dessen Vorbesitzer, vermutlich Brückner, soll Getreide- und Pferdehändler gewesen sein und die Gastwirtschaft, wie es früher nahezu überall üblich war, nur im Nebenerwerb betrieben haben. Im Inserat der Broschüre "Das Cunewalder Tal und seine Umgebung" von 1912 wirbt Christoph für das Haus und empfiehlt das freundliche Lokal für einen angenehmen Aufenthalt, schöne Betten in guten Fremdenzimmern zu billigen Preisen und auch für gute Speisen und Getränke.

Martin Wolf bewirtschaftete das Gasthaus bis in den 2. Weltkrieg hinein. Nebenberuflich war er als Lagerverwalter tätig. Im Krieg kam er ums Leben, die Gaststätte führte nun seine Frau Frieda Wolf weiter, später mit Tochter Charlotte, und das bis 1963. Frieda Wolf verstarb 1963, Tochter Charlotte Schröter und ihre Schwester Käthe Schmidt übernahmen. Von 1980 an wurde die Bahnhofsrestauration von der Enkelin von Martin und Frieda Wolf, Gundel Kindler und ihrem Mann Horst weiterbetrieben. Im Gespräch mit Gundel Kindler, die heute in Weigsdorf-Köblitz lebt, wird deutlich, dass das Gasthaus "bei Wolf´s" ein Ort unzähliger Geschichten gewesen ist. Hier, so Gundel Kindler, konnte man Menschen mit unterschiedlichsten Charaktereigenschaften kennen lernen. Hier wurde ungeschminkt diskutiert, das Geschehen im Dorf und in den Familien kommentiert, vor allem aber wurde viel gelacht. So mancher versuchte die Sorgen und Nöte entweder los zu werden, mit anderen zu teilen und wenn das nicht gelang, sie auch manchmal hinunter zu spülen. "Bei Wolf´s" war ein echter Ort der Begegnung ohne großen Schnickschnack und mit ganz kurzer Speisekarte, aber mit viel Herz und Seele bei denen, die hinter dem Tresen standen, von Martin Wolf bis Gundel Kindler.

Sie war es auch, die am 30. Juni 2006 das letzte Bier und den letzten Kurzen ausschenkte und aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Der schon damals am Gebäude nagende Zahn der Zeit sorgte in den Folgejahren für den weiteren Verfall. Im Zuge einer Versteigerung fand sich ein Erwerber, der das Anwesen zuvor nicht gesehen hat und wohl nur als Spekulationsobjekt betrachtete. Der Verfall schritt voran und im Jahre 2019 kaufte schließlich ein hiesiger Unternehmer das Grundstück samt Ruine. Innerhalb nur einer guten Woche (Abriss vom 11.05. bis 15.05.2020) war die ehemalige Bahnhofsrestauration in Obercunewalde Geschichte und es blieben nur noch die Erinnerungen.

Das Anwesen steht nun vor einer neuen Zukunft. Noch im Jahr 2020 sollen die Bauarbeiten für ein Mehrfamilienhaus mit 4 Wohneinheiten beginnen. Sofern das Baugenehmigungsverfahren zügig läuft, soll der Rohbau in 2020 abgeschlossen werden. Das sind doch gute Aussichten für den geschichtlich bedeutsamen Ort in Obercunewalde. Dem neuen Vorhaben wünschen wir ein gutes Gelingen.

Quellen: Ortschronik Cunewalde, Czorneboh-Bieleboh-Zeitung, Matthias Hempel, Torsten Hohlfeld