Motorenwerk
Die große Betriebsgeschichte vom VEB Motorenwerk Cunewalde
Seit Jahrzehnten bestimmten die Webereien den industriellen Charakter im Cunewalder Tal. An metallverarbeitenden Betrieben waren außer der Stahlsandfabrik Gebrüder Hensel nur einige kleine Handwerker zu finden. Der Verlauf des 2. Weltkrieges änderte 1943 allerdings die industrielle Struktur. Der in Dresden beheimatete Betrieb Otto Bark Motorenbau verlegte aus strategischen Gründen im gleichen Jahr seine Produktion in die Räumlichkeiten des Webereibetriebes I.G. Große nach Obercunewalde. Mit dieser Niederlassung hielt der Maschinenbau Einzug im Cunewalder Tal. Produzierte Geräte waren vorrangig Ölpumpen und verschiedene Flugzeugmotoren.
Im Jahre 1945 wurde die Produktion stillgelegt und die Produktionsmittel von der SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) beschlagnahmt. Die Firma Otto Bark Motorenbau wurde am 05.11.1946 enteignet. Die Produktionsmittel gingen zum gleichen Zeitpunkt, der genutzte Grund und Boden am 11.08.1948 nach dem rechtskräftigen Beschluss vom 01.07.1948 in Volkseigentum über. Schon am 05.11.1946 erzeugten 30 Beschäftigte Waren für rund 64.000,00 Mark. Im Auftrag des sowjetischen Konstruktionsbüros wurden fortan folgende Versuchsmotoren entwickelt:
RT 120, RT 125, NZ 125, NZ 250, NZ 350-1-2.
Die vorhandenen Ausrüstungen und die Produktionserfahrung bestimmten die Produktionsrichtung des Betriebes. Von 1947 bis 1950 wurden hauptsächlich Feuerlöschspritzen, verschiedene Baugruppen für Schiffsdieselmotoren, Schmierstellen, Wasserwirbelbremsen und Drehkolbengebläse produziert. Im Jahre 1951 wurde mit dem Bau von Klein-Dieselmotoren H65, LD 120 und LD 130 begonnen. Es war ein bescheidener Anfang, mit dem zugleich der erste Fünfjahresplan der DDR anlief. Der volkseigene Betrieb (VEB) Motorenwerk Cunewalde war seither der bedeutendste Hersteller von kleinen Dieselmotoren im RGW. Er gehörte zum Industrieverband Fahrzeugbau der DDR, kurz IFA.
Im Jahre 1953 wurde die Eisengießerei in Beiersdorf zum Werksteil 2. Diese betriebseigene Gießerei versorgte seitdem das Motorenwerk mit qualitätsgerechtem Grauguss. Ab 1955 wurde der schwere Dieselmotor 1 NVD 18 gebaut. Die Produktion des Werkes erfuhr damit einen großartigen Aufschwung. Im Jahre 1956 folgte die Gründung des betriebseigenen Entwicklungs- und Konstruktionsbüros für Klein-Dieselmotoren. Ab 1959 wurde ein verbesserter Typ gebaut, der 1 H 65. Mit diesem Dieselmotor begründeten die Cunewalder Motorenbauer ihren guten internationalen Ruf. Im Jahre 1961 konnte die erste betriebseigene Entwicklung und Konstruktion von luftgekühlten Klein-Dieselmotoren der Reihe KVD 8 in die Produktion gehen. Ab 1963 wurden die Motoren konstruktiv überholt und verbessert. Die Typen NVD 18 und 2 H 65 wurden aus dem Programm genommen und das Fertigungsvolumen der KVD 8-Reihe erweitert. Diese Motoren wurden vorwiegend im Geräteträger RS 09, in Pumpen, Baumaschinen, Motorbooten sowie im Multicar M 22 als Antrieb verwendet.
Die Cunewalder Motorenbauer können auf stolze Erfolge zurück blicken. Auf der Leipziger Jubiläumsmesse 1965 erhielten das Flanschpumpenaggregat und der fahrbereite Montagemast auf einem LKW-Gestell, dessen Arbeitsmechanismus mit einem Cunewalder 4 KVD 8 angetrieben wurde, eine Goldmedaille. Seit 1964 läuft der 4-Zylinder Typ der Baureihe KVD 8 (später VD 8/8) in Serienproduktion. Millionen an investierten Geldern des damaligen Arbeiter- und Bauernstaates ermöglichten den Weiterausbau der Produktionskapazität sowie erforderliche Nebenanlagen in Weigsdorf-Köblitz, dem Gelände südlich der Anlagen vom Werk 5. Mit dieser Vergrößerung war auch die Erweiterung des betrieblichen Wohnungsbauwesens um insgesamt 316 Wohnungseinheiten bis 1970 vorgesehen. Ebenso entstanden betriebseigene Kinderkrippen und Kindergärten. Das große Motorenwerk Cunewalde wurde damit immer mehr zum ökonomischen, politischen und kulturellen Zentrum des gesamten Cunewalder Tales und seiner näheren Umgebung.
Entwicklung der Belegschaft:
1946: 30 Werktätige, 1948: 54 Werktätige, 1950: 329 Werktätige, 1955: 670 Werktätige,
1968: 2436 Werktätige, 1986: 2254 Werktätige, 1989: 2177 Werktätige
Entwicklung der Motorentypen:
LD 120 mit 7 PS bei 1500 U/min, LD 130 mit 10 PS bei 1250 U/min,
1 H 65 mit 7,5 PS bei 1800 U/min, 2 H 65 mit 15 PS bei 1800 U/min,
NVD 18 mit 17,5 PS bei 1250 U/min sowie 1 KVD 8, 2 KVD 8 und
4 KVD 8 mit Leistungen von 3,2 bis 26 PS
Sämtliche Dieselmotoren des Motorenwerkes Cunewalde besaßen das Gütezeichen der Klasse 1. Im Frühjahr 1972 wurde durch das Amt für Standardisierung, Messwesen und Warenprüfung (ASMW) das Gütezeichen 1 für alle im Bestand befindlichen, luftgekühlten Dieselmotoren befristet aberkannt. Alle noch im Motorenwerk befindlichen Motoren mussten demontiert und zunächst einer Lagerkontrolle unterzogen werden. Gegenüber dem Gründungsjahr 1946 erreichte das Motorenwerk im Jahre 1968 eine 35-fache Steigerung des Produktionsvolumens und eine siebenfache Steigerung der Produktion.
Dieselmotoren in Multicar-Fahrzeugen:
Multicar M 21: 1 H 65, Multicar M 22: 2 VD 8/8-SVL und 4 VD 8,8 / 8,5,
Multicar M 24: 1 bis 3 SRF und 4 VD 8,8 / 9-1, Multicar M 25: SRF
Entwicklung in den Betriebsteilen:
1946: Werk 1, Obercunewalde (Verwaltung, Teilefertigung)
1953: Werk 2, Beiersdorf (Gießerei, Graugussteile)
1954: Werk 3: Strafanstalt Bautzen (Zuarbeiten Dieselmotoren)
1955: Werk 4: Kamenz (Fertigungsbereich Dieselmotoren)
1958: Werk 5: Weigsdorf-Köblitz (Fertigungsbereich, Versand, Prüfstand)
1967: Werk 6: Niedercunewalde (Konstruktionsbüro, Lehrwerkstatt)
In mancher Chronik gänzlich unerwähnt bleibt das Werk 3 in Bautzen, der sogenannte Strafvollzug. Das Werk 3 wurde aber im Zuge der Amnestie des Staatsrates der DDR vom 07.10.1972 schrittweise und ersatzlos aufgelöst. Bereits im Winter 1973 wurden aus dem Strafvollzug Bautzen die ersten Maschinen (Krümmerproduktion) in das Werk 4 nach Kamenz verlagert, um die Motorenproduktion in Cunewalde zu sichern. Gleichzeitig wurden vom Werk 3 in Bautzen verschiedene Sortimente in Halle 8 des Werkes von Weigsdorf-Köblitz untergebracht. In Folge der Auflösung des Werkes 3 übernahm Robur Zittau die ehemalige Produktion in eigener Regie und Verantwortung. Im Strafvollzug Bautzen wurden Leistungen von rund 200.000 Stunden für das Motorenwerk Cunewalde erbracht.
Das Motorenwerk hatte mit eigenen Omnibussen und einem verzweigten Netz von Vertragsbussen des VEB Kraftverkehr dafür gesorgt, dass seine Betriebsangehörigen aus Cunewalde und von auswärts zum Werk, und nach Schichtende in ihren Wohnort zurück befördert wurden. Dadurch herrschte in Cunewalde zeitweise eine Verkehrsdichte, die den Charakter einer Großstadt hatte. Ein sehr gut ausgebauter und organisierter Kundendienst konnte weltweit viele Kunden gewinnen. Unsere Cunewalder Dieselmotoren wurden demnach in folgende Länder exportiert:
Europa: CSSR, Italien, Jugoslawien, Niederlande, Polen, Türkei, Ungarn, UdSSR
Asien: Irak, Jemen, Burma, Indonesien, Kambodscha, Syrien, Vereinigte Arabische Emirate
Afrika: Ghana, Marokko, Sudan
Amerika: Brasilien, Ecuador, Kuba
Das Motorenwerk Cunewalde wurde durch übergeordnete Organe aufgefordert, weitere nachhaltige, hochwertige Konsumgüter herzustellen. Der Betrieb entschied sich dafür, schnellstmöglich dringend benötigte Wartburg - Kurbelwellen zu regenerieren. Das geschah im Zeitraum von 1974 bis 1980. Die Kurbelwellen wurden industriell zerlegt, vermessen, regeneriert und wieder zu hochwertigen "neuen Wellen" montiert. Anfangs wurden 240 Wellen täglich in zwei Schichten produziert. Später betrug die tägliche Produktion ca.180 Stück. Im Jahre 1980 wurde die Kurbelwelle (nach Aussage ehemaliger Mitarbeiter) wieder in Fremdbetriebe verlagert.
Einige hervorzuhebende Naturereignisse sollen ebenfalls festgehalten werden: So wurden zum Jahreswechsel 1974 / 1975 Teile des Daches der Halle 14 durch einen Sturm abgedeckt. Um die eingetretenen Produktionsrückstände aufzuholen, arbeiteten die Mitarbeiter die zweite Januarhälfte 1975 rund um die Uhr, 7 Tage in der Woche. Und durch den Wintereinbruch im Katastrophenwinter 1978 / 1979 war der gerade fertiggestellte Prüfstand im Werk 5 eingefroren.
Mit der politischen Wende änderten sich auch die Verhältnisse im Betrieb. Im Jahre 1990 wurden die letzten Dieselmotoren gebaut und der volkseigene Betrieb in die Dieselmotorenwerke Cunewalde GmbH umfirmiert. Die umgewandelte Firma erhielt im Juli 1992 einen Beschluss der Treuhandanstalt über die Liquidation des Betriebes, welche schließlich am 31.12.1997 beendet war. Eine großartige Geschichte ging damit im Cunewalder Tal zu Ende. Schlagartig verloren unzählige Werktätige ihre Arbeit. Was bleibt, sind viele Erinnerungen an diese 70 Jahre andauernde Betriebsgeschichte, die neben Lohn und Brot auch soziale Sicherheit und Engagement in der Gemeinde bedeutete.
Die einzelnen Betriebsteile erfuhren nach der Wende unterschiedliche Nachnutzungen. Nicht nur Industriebrachen waren geblieben. In Obercunewalde, dem Werk 1, wurden die meisten Gebäude abgerissen. Im entstandenen Gewerbegebiet siedelten sich mittelständische Betriebe an. Auch im ehemaligen Werk 5 von Weigsdorf-Köblitz. Hier firmieren neue metallverarbeitende Firmen.
Folgende große Industriebetriebe prägen heute unser Ortsbild:
MFT Motoren und Fahrzeugtechnik GmbH, P.C.S. Precision Works Germany GmbH,
Härtwig Maschinenbau GmbH & Co. KG, Maschinen- und Werkzeugbau Knobloch,
HENSEL - Mess-, Regel- und Prüftechnik GmbH & Co. KG, Gutekunst & Co. KG
Quellen: Ortschronik Cunewalde, Czorneboh-Bieleboh-Zeitung, Werner Goldberg, Torsten Hohlfeld